Das Moderatorenduo Jan Herold und Jenna Depner verließen Radio Energy 2011 und gingen zu Charivari, um nicht weniger als “den Münchner Morgen zu retten” (Herold).
Du bist seit 2012 Programmdirektor bei Charivari. Mit welchen Programmentscheidungen bist du glücklich und mit welchen weniger?
Das Programm komplett zu relaunchen war – absehbar – ein Monsterprojekt, das nicht einfach werden würde. So viel war mir vor Antritt meiner Arbeit als Programmverantwortlicher klar. So ein Ding reißt du auch nicht alleine rum. Dafür braucht es qualifizierte und visionäre Mitarbeiter, die erst einmal gefunden werden mussten, um das bisherige Team weiter zu unterstützen. 95 Prozent der Sendeinhalte wurden geändert, optimiert oder ganz ersetzt – etwa 15 Prozent davon wurden innerhalb der letzten zwölf Monate nochmals ergänzt und verändert. Unterm Strich erreichst du niemals das perfekte Programm – hier liegt die Arbeit in der täglichen oder gar stündlichen Optimierung zu jedem Zeitpunkt.
Kannst du dafür ein aktuelles Beispiel nennen?
Gerne. Dieser Tage sind wir mit WhatsApp über unsere Studio-Hotline mit Münchner Vorwahl online gegangen, um mit unseren Hörern noch besser kommunizieren zu können – damit sind wir in Deutschland bisher Ersten und Einzigen! Wer sich nicht täglich neu erfindet, der ist in diesem Job eindeutig falsch.
Wie viel persönliche Vorlieben kann man sich erlauben, wenn man die Musikfarbe eines Senders verändert?
Wir sind ein mainstream-Programm mit einem mainstream-Publikum. Selbstverständlich müssen wir diesem gerecht werden. Der Spagat besteht allerdings darin, die Hörer nicht zu unterschätzen und die Musikfarbe entsprechend zu erweitern. Ex-RTL-Chef Hans Mahr sagte einmal: ,Im seichten Wasser kann man nicht absaufen.’ Das sehe ich musikalisch anders behaupte: ,Wer das tut, was alle tun – der bekommt auch das, was alle bekommen!’ Wer erfolgreich sein will, muss es anders und selbstverständlich besser machen. Wir spielen beispielsweise stündlich einen live Titel, außerdem mash-ups und einen Party-Hit-Mix zum Start ins Wochenende am Freitag bereits ab 17 Uhr – da sind wir in München die Einzigen.
Die Funkanalyse Bayern weist von den drei führenden Münchner Lokalsendern nur für Charivari gestiegene Tagesreichweiten aus. Gong und Energy verlieren, liegen aber immer noch vor euch. Wie willst du diese Lücke schließen?
Von der Form der Erhebung sowohl der Funkanalyse Bayern als auch der Media Analyse halte ich grundsätzlich gar nichts. Sie ist veraltet und nicht repräsentativ. Letztendlich richtet aber jeder Sender seine Inhalte und Positionierungen genau darauf aus, um in diesen Abfragen auf ein gutes Ergebnis zu kommen. Selbstverständlich entkommen wir dem auch nicht ganz, jedoch glaube ich nicht an die Nachhaltigkeit dieser Programmausrichtung. Die harten Zahlen, die Intracharts, sind eindeutig: 2012 hatten wir 3.000 Fans bei Facebook – heute sind es 30.000. Ähnliche und sogar noch bessere Steigerungen verzeichnen wir bei den Abrufen unserer Webchannels, unserer Website, der Anzahl der Follower bei Twitter, generelle Zugriffe auf di-, tri- und quadmediale, programmunterstützende Inhalte. Diese Werte sind für mich entscheidend und spielen eine größere, da wesentlich nachhaltigere Rolle.
Diese Ergebnisse machen euch attraktiver für Werbekunden. Wo genau siehst du die Berechtigung für Radiowerbung?
Radiowerbung wirkt nach wie vor. Entgegen allem Run ins Web. Grundvoraussetzung ist allerdings: Der Spot muss gut sein, zielgruppenaffin und leicht verständlich. Im Vergleich zu früher haben wir heute mehr Möglichkeiten der Kundenplatzierung, unter anderem durch ,embedded Videos’ und Fotos sowie Soundfiles auf der Senderwebsite und unserer Facebookseite.
Lange Zeit hieß es, Radiohörer seien vor allem eine ältere Zielgruppe und deswegen unattraktiv für Werbung.
Dies ist definitiv falsch: Immer mehr junge Hörer finden den Zugang via Livestreams und Sender-Apps. Da dies hauptsächlich über das Smartphone passiert, bekommt Radiowerbung zunehmende Relevanz, weil es ,mobil’ mit ,lokal’ verknüpft. Vor allem für den lokal Werbetreibenden ist es ja nicht so einfach, Adwords zu kaufen oder Banner für Displaywerbung zu buchen. Da bleibt Radio das Mittel der Wahl und kann seine Position sogar noch ausbauen. Unter der Voraussetzung natürlich, dass es gut ge-macht ist und nah an dem ist, was die Hörer beschäftigt.
Also sollte man als Radiomacher und Moderator einen echten persönlichen Bezug zu seiner Hörerschaft haben.
Um authentisch zu sein, muss sich der Host in der Lebenswelt der Kernzielgruppe bewegen. Über diesen Standpunkt gibt es keine Diskussion. Ich moderiere nun seit über 15 Jahren im Radio in München. Da entwickelt man sich auch mit seiner Hörerschaft, denn Lebensgewohnheiten verändern sich. Wichtig ist, sich als Moderator nicht anzubiedern, sondern sich selbst treu zu bleiben. Inhalte und Standpunkte sind wichtig und machen einen auch unterscheidbar. Radiosender etwa, die ihr Alleinstellungsmerkmal nur in der Musik sehen, bekommen meiner Meinung nach deshalb auch immer mehr Probleme. Entscheidend ist der Mediamix aus der richtigen Musik zum idealen Zeitpunkt, gepaart mit dem besten Content. ,Content is King’ – und seine Relevanz wird sich durchsetzen.
Wenn man für die Vermarktung einer Mediengattung kämpft, hat man auch immer die Entwicklungen anderer Bereiche im Blick. Wie wird sich das lineare TV bei immer mehr Spartenkanälen und tv-on-demand Projekten wie Netflix entwickeln?
Früher war Fernsehen das Lagerfeuer der Familie, man versammelte sich und schaute zusammen ,Wetten, dass …?’. Heute gibt es immer weniger dieser großen TV-Events, überall bröckeln die Quoten. Natürlich kriegt TV?Reichweiten hin, die keine andere Mediengattung schafft. Aber sind auch die Medienumfelder so passend, dass sich die großen Marken da wohl fühlen??Angebote wie Netflix machen es für das klassische Fernsehen nicht einfacher. In den USA?sind tv-on-demand-Unternehmen sehr erfolgreich, langfristig wird dies auch in Deutschland so sein.
Die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien hat dir und deiner Kollegin Jenna Depner in diesem Sommer den Preis für die „Beste Moderation im Lokalradio“ verliehen. Wie viel in der Moderation ist auf Talent zurückzuführen und wie viel auf Arbeit?
Ein gewisses Talent und Spontanität sind natürlich von Vorteil. Wie ich neulich in eurer letzten Ausgabe im interessanten Interview mit Herrman Gerland las:?Ohne Talent klappt es nicht! Ob meine Kollegin oder ich selbiges mitbringen, darüber sollen andere entscheiden. Wir beide sind seit einigen Jahren ein eingespieltes Team. Das hilft uns sicher bei den täglichen Abläufen. Natürlich ist das ganze auch harte Arbeit: 100 Prozent der Show sind für jeden Morgen vorbereitet. Aber 95 Prozent unserer Planung schmeißen wir täglich wieder raus. Das ist zwar stressiger, aber aktueller und spontaner.
Apropos Rausschmiss: Euer ehemaliger Moderater Ali Khan hat dich nach seiner Entlassung persönlich hart kritisiert und dir sowohl Hybris unterstellt als auch fehlendes Gespür für Münchner Lokalkolorit. Ist im Formatradio kein Platz für sperrige Sendungen?
Jede Zeit hat ihre Helden. Ich wurde zum Sender geholt, um mit der Neuformatierung mehr Hörer zu erreichen. Formatradio bietet durchaus Platz für ein Lokalformat, aber es muss im Format eben auch Format haben. Wir sind kein offener Kanal.
Harald Schmidt hat in seinen Sendungen oft den Input der BILD-Zeitung verarbeitet. Welches sind deine wichtigsten Quellen?
Die beiden wichtigsten Quellen sind a) die Stadt München und b) die Münchnerinnen und Münchner selbst. Die Bedürfnisse der Hörerschaft zu kennen, bedeutet, dort zu sein, wo München tagtäglich passiert. Ob dies im Umland am See ist oder jeden Morgen in der überfüllten U-Bahn passiert. Daraus speisen sich auch die Sendungen, die am stärksten hängen bleiben: die Schwabinger Bombe 2013, der Volksentscheid zum Thema Rauchen oder der Hype um das „Finale dahoam“, um ein paar Beispiele zu nennen.
Du bist auch bei Sky zu sehen. Da wird für meinen Geschmack aus dem ,rotzfrechen Herold’ etwas überraschend ,Jan, der Leisetreter’.
Radiomachen ist das Eine, Fernsehen zu machen das Andere. In München verstehen die Menschen meinen Humor nach vielen Jahren möglicherweise eher als im nationalen TV. Dem muss man sich in gewisser Form anpassen.
Ist TV ein Thema, das für dich noch mal eine größere Rolle spielen könnte?
Fernsehen macht Spaß und ist ein schöner Ausgleich zum täglichen Radiojob. Ein fluffiges Talkformat vor der Kamera würde mich schon reizen. Für ProSieben und Sat.1 vertone ich bereits seit vielen Jahren diverse TV-Formate, bei RTL2 hatte ich mal eine Sonntagabendsendung live moderiert, aktuell stehe ich für SKY Sport News vor der Kamera. Grundsätzlich aber habe ich wohl ein Radiogesicht und freue mich, diversen TV Sendern, auch in Österreich, als Moderationscoach und Berater im Hintergrund zur Seite stehen zu dürfen.
Welche spannende Herausforderungen siehst du für dich bei Charivari in 2015?
Die Distribution via App, Smartphone und Visual Radio voranzutreiben und weiter auszubauen sind im technischen Feld mit Sicherheit die größten Schritte, die es zu gehen gilt. Inhaltlich werden wir weiter hart daran arbeiten, unseren hohen Qualitätsstandart zu halten. Persönlich liegt mir am meisten daran, die Marke Charivari zu optimieren. Viele verbinden mit diesem Sendernamen leider immernoch ein falsches Bild.
Wem drückst du eigentlich die Daumen, wenn der FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt spielt?
In diesem speziellen Fall und nur da: Eintracht Frankfurt.
Foto (oben) von Manuel Jacob