Der demografische Wandel sorgt für stetige Nachfrage auf dem Pflegemarkt und macht den Gesundheitssektor zu einer krisensicheren Branche – man kann sich seinen Arbeitgeber quasi selbst, ganz ohne Not, aussuchen. Doch wie steht es um die Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer? Und vor allem: Was verdient man eigentlich in München, immerhin eine der teuersten Städte Deutschlands?
In so ziemlich jedem Bundestagswahlkampf und zu besonderen Ausnahmesituationen wie Covid-19 wird sehr vehement über den stetig steigenden Bedarf an Pflegekräften diskutiert. Ob nun Merkel oder Özdemir, Lindner oder Instagram- und Twitter-Fame-User, alle sind sich einig, dass dringend was getan werden müsse, insbesondere die Gehälter, die die neue Wertschätzung ausdrücken sollten, die systemrelevante Berufe verdienen. Durch solche Statements verkommen die Pflegeberufe in der öffentlichen Wahrnehmung aber eher zu unterbezahlten Jobs, die hinsichtlich des Gehalts gefühlt nur knapp oberhalb einer Reinigungskraft angesiedelt sind. Das ist nicht die Wertschätzung, die Pflegern und Pflegerinnen wirklich gebührt.
Ziemlich sicher ist außerdem, dass der Bedarf an Pflegekräften konstant steigt. Es kursieren die verschiedensten Zahlen, wie groß der Mangel an Pflegefachpersonal ist. Das Bundesministerium für Gesundheit nennt eine Lücke von 200.000 ausgebildeten Pflegefachkräften bis zum Jahr 2025. Man nimmt das als Zuschauer so hin und denkt sich vielleicht, dass das wohl stimmen könnte, weil man auch in den Medien oder von Gewerkschaften nichts Gegenteiliges hört. Aber wirklich beurteilen kann man als Zuschauer oder Mediennutzer nicht, wie viel genau in Pflegeberufen verdient wird.
Aus diesem Grund haben wir uns schon 2015 mit Personalverantwortlichen der Branche getroffen, Vorständen, Pflegedirektoren und Personalleitern – 2020 unterstützte uns die Klinik München mit neuen Gehaltsbeispielen. Am Ende der Recherche lagen über fünfzig anonyme, aber typische Gehaltsabrechnungen nahezu aller Karrierestufen vor. Dieser Artikel handelt nicht davon, was Krankenschwestern und Altenpflegerinnen und -pfleger leisten. Nicht davon, wie stressig die Schichten sind, nicht vom Umgang mit Krankheit und Tod. Es geht auch nicht um die Freude und die Bestätigung, die der Beruf bereiten kann oder um die sinnstiftenden Inhalte. Es geht einzig und allein darum, wieviel ein/e Kranken- oder Altenpfleger/in verdient und welche Karrieremöglichkeiten diesen Fachkräften offenstehen. Noch zwei Vorbemerkungen: Die korrekte Berufsbezeichnung lautet seit 2004 übrigens nicht mehr Krankenschwester/Krankenpfleger, sondern Gesundheits- und Krankenpfleger/in, abgekürzt GKP. Analog dazu wurde aus der Kinderkrankenpflegerin die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin (GKKP). Altenpfleger und -pflegerinnen haben ihre Berufsbezeichung nicht geändert.
Alle Gehälter, die wir nennen, sind Nettogehälter (Kranken- und Altenpfleger verdienen fast genau gleich viel), was schlicht bedeutet, dass Steuern und Sozialabgaben bereits gezahlt sind. Alle Gehaltsangaben betreffen den öffentlichen Dienst, kirchliche Einrichtungen oder die Caritas und einige, aber nicht alle privaten Einrichtungen, die teilweise mehr, aber auch weniger zahlen können.
Befragungen bei unseren Lesern ergaben: Viele schätzten die Gehälter viel zu niedrig ein. Die Durchschnittsschätzung lag in etwa genauso hoch, wie in der Berichterstattung vieler Medien: um 25 Prozent zu gering. Am Ende der Recherche haben wir uns gefragt: Wenn die Gehälter so intransparent sind und allgemein so niedrig dargestellt werden, warum sollte man sich dann als junger Mensch für einen Einstieg in den Beruf interessieren? Und die Gehälter am Seitenrand zeigen nicht alles, was dem Verdienst noch zuzurechnen ist. Aber der Reihe nach.
Ausbildung
Interessierte benötigen, um zur Ausbildung als staatlich examinierte Pflegerin zugelassen zu werden, in der Regel einen Realschulabschluss. Als Pflegehelferin reicht ein qualifizierter Hauptschulabschluss und ein Mindestalter von 16 Jahren. Was diese später verdienen können, sieht man im Beispiel 3 (Zahlen aus 2015). Nach der Ausbildung zur Helferin kann man sich auch mit qualifiziertem Hauptschulabschluss zur examinierten Pflegerin weiterbilden lassen. Wer sich gleich für eine dreijährige Ausbildung zur staatlich examinierten Pflegerin entscheidet, verdient ab 1. März 2019 im ersten Jahr etwa 1.015 Euro, im zweiten 1.075 Euro, im dritten 1.172 Euro. Danach kann man sich zur Fachpflegerin ausbilden lassen, beispielsweise im Bereich Kinderpflege, Anästhesie, Psychiatrie, Intensivpflege oder zur OP-Pflegerin. Dadurch kann man auch mehr verdienen (siehe Beispiel 4).
Zuschläge
Die Zuschläge, die über das Grundgehalt hinaus gezahlt werden, machen teilweise bis zu 25 Prozent des Verdienstes aus. Die Wechselschichtzulage wird beispielsweise für Früh-, Spät- und Nachtschichten gezahlt, die Sonn- und Feiertagszuschläge erklären sich von selbst. Pflegedienstleiterinnen oder Stationsleiterinnen bekommen häufig sogar einen Ausgleich dafür gezahlt, dass sie keine Wechselschichten mehr machen können. Das können bis zu 400 Euro brutto pro Monat sein.
Ballungsraumzulage: München ist ein Ballungsraum und das Leben teurer als auf dem Land. Also zahlen Arbeitgeber bis zu 270 Euro brutto pro Monat (in der Ausbildung 140 Euro) mehr.
Jahrenssonderzuwendung: Sie wird jährlich gezahlt und entspricht etwa 79 Prozent des monatlichen Gehaltes, bei höheren Eingruppierungen zirka 70%. Bei 2.000 Euro Nettoverdienst sind das rechnerisch 132 Euro pro Monat, die in den nebenstehenden Gehältern nicht enthalten sind. Je nach Steuerprogression und Steuerklasse kann das auch weniger sein.
Leistungsentgelt: Beträgt bis zu 6% des monatlichen Gehaltes. Der jeweilige Arbeitgeber und Arbeitnehmer sprechen in der Regel gemeinsam ab, ob diese bis zu 6% für die Sozialkomponente oder das Leistungsentgelt genutzt werden. Wird es nicht für besondere Maßnahmen wie die Vereinbarung von Beruf und Karriere benötigt, wird es zumeist ausgezahlt.
Gehaltsstufen: TVÖD-P (Tarifvereinbarung des Öffentlichen Dienstes, Beispiel gilt nur für Ledige und nur für den Tarif 8 für eine staatlich examinierte Pflegerin)
• Stufe 3, nach zwei Jahren in Stufe 2 = zirka 146,35 Euro mehr brutto pro Monat
• Stufe 4, nach drei Jahren in Stufe 3 = zirka 187,64 Euro mehr brutto pro Monat
• Stufe 5, nach vier Jahren in Stufe 4 = zirka 151,54 Euro mehr brutto pro Monat
• Stufe 6, nach fünf Jahren in Stufe 5 = zirka 210 Euro mehr brutto pro Monat
Das sind nach 14 Jahren 695,53 € brutto mehr (ohne Berücksichtigung von Tarifsteigerungen in diesem Zeitraum).
Gewerkschaften: Die streitbare Gewerkschaft ver.di handelt in regelmäßigen Abständen für den öffentlichen Dienst neue Tarifverträge aus. Dadurch ist zumindest ein Inflationsausgleich gesichert. Das können nicht alle Berufsstände von sich behaupten.
Essen: Eine (subventionierte) Mahlzeit im Krankenhaus/Altersheim kostet etwa drei Euro pro Mahlzeit. Das Ganze mal fünf Tage mal vier Wochen mal 10,5 Monate bedeutet 630 Euro pro Jahr. Wer weniger für seine Mittagspause zahlt, ist sehr gut organisiert. Jeder Leser kann für sich einmal gegenrechnen.
Urlaub: Mindestens 30 Tage, durch Nachtarbeit und Überstunden können zusätzliche Urlaubstage entstehen.
Fortbildung: Die Kosten (5.000 bis 10.000 Euro), beispielweise für einen Stationsleitungskurs, werden in der Regel vom Arbeitgeber übernommen. Dafür müssen sich die Geförderten häufig für die nächsten drei Jahre an den Arbeitgeber binden.
Studium: Bei berufsbegleitenden Bachelor- oder Masterstudiengängen für das Pflegemanagement ist die Kostenübernahme Verhandlungssache. Üblich ist, sie sich – zirka 15.000 Euro – dafür zu teilen. Auch hier bindet man sich im Anschluss üblicherweise drei Jahre an den Arbeitgeber.
Altersvorsorge: Der Arbeitgeber zahlt in der Regel 4,8 Prozent des Bruttogehaltes in eine zusätzliche Betriebsaltersvorsorge ein. Dieser Gehaltsbestandteil ist übrigens nicht in unseren Beispielen enthalten und muss noch hinzugerechnet werden. Bei durchgehender Erwerbstätigkeit können das für eine Pflegerin 400 bis 500 Euro zusätzliche Rente im Monat sein. Durch Rente plus Zusatzrente kann eine Pflegerin derzeit auf zirka 75 Prozent des letzten Nettogehaltes kommen. Wer auf 100 Prozent (2.000 Euro netto) kommen möchte, müsste mit 25 Jahren anfangen, 42 Jahre lang 100 Euro pro Monat zu sparen. Bei vier Prozent Verzinsung stünden damit weitere 500 Euro Zusatzrente bis zum Alter von 90 Jahren zur Verfügung. Wer erst mit 35 Jahren anfängt zu sparen, müsste dafür 160 Euro pro Monat anlegen.
Sicherheit: Der öffentliche Dienst, Kirchen und die Caritas sind sehr sichere Arbeitgeber. Bei dem weiterhin zu erwartenden Pflegenotstand dürfte Arbeitslosigkeit nicht zu erwarten sein, eher das Gegenteil. Wenn man 15 Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet hat und über 40 Jahre alt ist, ist man unkündbar.
Wohnraum: Es gibt häufig subventionierten Wohnraum bei den Arbeitgebern, nicht für alle Mitarbeiter, aber sehr häufig mindestens für Zugezogene. Beispiel: 1-Zimmer-Appartment, zirka 30 Quadratmeter für etwa 300 Euro warm, Zweizimmerwohnung, 54 Quadratmeter, zirka 680 Euro warm.
Kredite: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, dem stellen Versicherungen wegen der sicheren Arbeitsplätze oft Kredite zu besseren Konditionen zur Verfügung als normalen Arbeitnehmern.
Kindergarten: Häufig ist es leichter, einen Kindergartenplatz zu bekommen, wenn man im öffentlichen Dienst arbeitet, denn manchmal verfügen die Arbeitgeber über eigene Kindergärten. Und die Kosten dafür sind auch oft geringer als bei privaten.
Flexible Arbeitszeiten: Der öffentliche Dienst bietet viele unterschiedliche Teilzeitmodelle an.
Aufstiegsmöglichkeiten
Stationsleitung: Ist häufig für 20 bis 40 Betten (je nach Pflegeintensität) und mit Personalverantwortung für das dazugehörige Personal zuständig. Viel Organisationsarbeit, teilweise auch noch in der Pflege tätig. Voraussetzung: einjähriger Stationsleitungslehrgang. Stationsleitungen sind seit Erscheinen des Artikels neu eingruppiert worden – nun immer Entgeltgruppe P 12, bei größeren Stationen sogar direkt P 13.
Funktionsleitung: Ist zusammen mit einem Arzt für eine bestimmte Funktion in einer Abteilung oder im gesamten Haus zuständig. Beispiel: OP-Abteilung, Hygiene oder Anästhesie. Hat als Voraussetzung für diese Tätigkeit eine Krankenpflegerfachausbildung für den jeweiligen Bereich abgeschlossen.
Pflegedienstleitung: Koordiniert mehrere Stationen und ist den Stationsleitungen vorgesetzt. Fast ausschließlich administrativ tätig. Hat in der Regel ein Bachelorstudium in Pflegemanagement absolviert. Verdienst siehe Beispiel 7.
Pflegedirektorin: Ist für die Pflege im gesamten Haus verantwortlich und hat Personalverantwortung für alle Pflegemitarbeiter – das können mehrere Hundert Mitarbeiter sein. Sie ist ausschließlich administrativ, organisatorisch und strategisch tätig. Ein Studium ist Voraussetzung. Pflegedirektorinnen sind häufig Mitglied der Geschäftsleitung. Der Verdienst ist außertariflich und wird in der Regel persönlich verhandelt. Hier sind je nach Größe des Arbeitgebers Bruttoverdienste bis zu 5.000 Euro pro Monat oder sogar noch mehr möglich.
Die Karrieremöglichkeiten im Bereich Pflege sind sehr, sehr vielfältig. Man kann mit einem Mittleren Abschluss (10 Jahre) beruflich weit kommen, auch Bachelor- und Masterstudium sind damit möglich – entsprechende Eignung vorausgesetzt. Abiturienten haben hier sicherlich lockerere Zugangsvoraussetzungen.
Das Berufsfeld Pflege wird in der Gesellschaft weit unter Wert gehandelt. Dafür gibt es Gründe. Politiker biedern sich an die Zielgruppe der Pflegenden an, häufig ohne Wesentliches an den Verhältnissen in der Pflege zu ändern. Medien greifen bedenkenlos das Bild der „armen“ Pflegerin auf. Die Berufsverbände und Gewerkschaften ebenfalls, denn diese profitieren davon, indem sie Mitglieder gewinnen, um höhere Lohnforderungen durchsetzen zu können. Folge: Alle jammern – ein teilweise gewollter, sich selbst verstärkender Prozess.
Kann man es da Interessenten für den Beruf Kranken- oder Alterspflege verdenken, wenn sie erst einmal skeptisch sind? Nein! Aber als Leser dieses Artikels können Sie sich jetzt eine eigene Meinung dazu bilden.
Wussten Sie schon, …
- dass in fast ganz Europa die Ausbildung zur staatlich examinierten Krankenpflege als Studium gilt, nur lange nicht in Deutschland und Luxemburg? Mittlerweile ändert sich das. Unter pflegestudium.net gibt es eine erste Übersicht über Studiengänge und Hochschulen.
- dass Ärzte einer Krankenschwester nur im Bereich Medikation und Therapie weisungsbefugt sind? Im Bereich Pflege hat das Pflegepersonal die Hosen an.
- dass die Ausbildung nicht nur zur intensiven Arbeit mit Menschen oder am Patienten qualifiziert? Die entsprechende Weiterbildung vorausgesetzt führt die Karriere bis ins Management mit Personalverantwortung für mehrere hundert Mitarbeiter.
Dieser Artikel mit den konkreten Gehaltsangaben, insbesondere die neuen Gehälter (blaue Bilder) aus dem Mai 2020, entstand mit der Hilfe des München Klinik.
Hier geht’s zum Gehaltsreport für Erzieher in München und hier zum Gehaltsreport der Angestellten der Stadt München!
Stand der Zahlen (blau): Mai 2020