München kennen wir als die große leuchtende Stadt im Süden der Republik: Schickeria, Luxus, Reichtum, enorme Mietpreise. In Heimatromanen kommt es auch meist genau so verpackt daher. Nicht so bei Anna Mocikat, die den Leser mal eben 200 Jahre in die Zukunft versetzt – und in eine vollkommen zerstörte Stadt. Wir haben die Autorin rund um ihren postapokalyptischen Heimatroman befragt und nebenher einige Berufswahltipps für Jugendliche bekommen.
Frau Mocikat, Sie sind Studienabbrecherin. Im ersten Moment klingt das hart, hat aber zu Ihrem Erfolg beigetragen. Inwiefern?
Wahrscheinlich wäre ich keine Buchautorin geworden. Allerdings kenne ich viele Leute, die ihr Studium abgebrochen und trotzdem Karriere gemacht haben. Wenn man für sich merkt, dass man eher ein praktischer Mensch ist, muss das noch lange kein Manko sein. In meinem Fall als Schriftstellerin ist das sogar sehr unwichtig. Ein Studium ist nicht schlichtweg der Königsweg für alle. Es ist wahnsinnig theoretisch, gerade in den Geisteswissenschaften. Hier lernt man hauptsächlich wissenschaftliches Arbeiten, anstatt wirklich etwas zu lernen.
Sie sagen, dass die deutsche Filmlandschaft Ihnen nicht die Möglichkeiten bietet, die Sie brauchen, um Ihre Geschichten zu erzählen.
Ich will große Geschichten erzählen. Weitläufige Bilder, große, spannende Geschichten mit umfangreichem Setting – und das ist im deutschen Film einfach nicht gegeben. Denn wenn man hierzulande ein Drehbuch schreibt, dann hat man immer eine Schere im Kopf: das Budget. Bei jedem Satz überlegt man sich: ,Ist das überhaupt finanzierbar?‘. In Hollywood gibt es das nicht, dort können die Autoren im Prinzip schreiben, was sie wollen. Bei Budgets von teilweise bis zu 200 Millionen Dollar kann man wirklich alles machen. Aktuelle Blockbuster sind unfassbare, optische Schauwerke, die vor zehn Jahren noch vollkommen undenkbar waren. In Deutschland sind die Budgets sehr beschränkt, ich könnte mich kreativ nicht richtig ausleben.
Würden Sie dann einen Ortswechsel in Betracht ziehen?
Generell liebe ich meine Heimat Bayern, insofern würde ich sehr ungerne weggehen. Schwer zu sagen, aber ich sehe mich in meiner näheren Zukunft weniger als Drehbuchautorin, sondern als Schriftstellerin.
Sie haben eine Ausbildung als Drehbuchautorin, dazu ein starkes visuelles Vorstellungsvermögen. Warum haben Sie dann einen Roman geschrieben?
Das wollte ich eigentlich schon immer. Als Teenager habe ich mit Kurzgeschichten angefangen und später ein paar Novellen verfasst. Schreiben war schon immer meine Leidenschaft. Das Visuelle kam genauso früh, meine ersten Filmchen habe ich mit der VHS Kamera meines Vaters gedreht – da musste die halbe Nachbarschaft herhalten. Natürlich sehr große Meisterwerke! Zum Glück wird niemand sie jemals sehen. (lacht) Beides habe ich dann miteinander verbunden. Ich denke mir im Kopf also den Film aus und schreibe die Bilder nieder, die entstanden sind. Von daher ist das Drehbuchschreiben vor allem mein Fundament. Letztendlich sind es meiner Meinung nach, egal ob Drehbuch oder Roman, nur 30 Prozent Talent und 70 Prozent Arbeit und Handwerk.
Eine der plastischsten Idee in Ihrem Buch „MUC“ ist wohl die mit den Skeletten in der U-Bahn.
Ja wir alle kennen und lieben die MVV! Wenn man dann mal wieder in einem Tunnel steht, denkt man sich doch ‚Ich werde hier noch sitzen, bis ich ein Skelett bin.‘ Solche Gedanken sind bei MUC mit eingeflossen und ein Augenzwinkern in Richtung MVV.
Literarische Reise durch ein zerstörtes München – und eine kaputte Gesellschaft
Dreh- und Angelpunkt in MUC ist natürlich München. Hat hier das Bild der reichen, satten Stadt mit reingespielt oder lag das an der Heimatverbundenheit?
Letzteres, denn ich wollte unbedingt einen postapokalyptischen Roman in meiner Heimat erzählen. Ein zerstörtes New York, L. A. oder Tokio hat man schon unzählige Mal gesehen. Bei uns gibt es sowas bisher nicht. So eine Apokalypse macht ja nicht an der Landesgrenze halt – wie würde das also bei uns aussehen? Da hatte München den klaren Vorteil, dass ich die Stadt sehr gut kenne, woanders hätte ich mich in die örtlichen Gegebenheiten erst so richtig einarbeiten müssen.
Wenn man sich das Genre der Heimatromane anschaut, wird es von den gängigen Klischees dominiert, Rita Falk etwa. Wollten Sie mit MUC die starren Strukturen etwas aufmischen?
Davon bin ich ja so gar kein Fan, privat lese ich eher Fantasy oder Sci-Fi. Ich liebe George RR Martin und Stephen King.
Dennoch bezeichnen Sie Ihr Buch als Heimatroman.
Ich hatte es ja eigentlich nicht vor. (lacht) aber beim Schreiben wurde klar, dass es eigentlich einer ist, egal ob der Hintergrund dystopisch und zerstört ist oder nicht. Jeder wird in MUC bekanntes entdecken, beispielsweise der Gasteig, den ich in ein Gefängnis umfunktioniert habe. Viele Münchner fluchen ja recht ausgiebig über ihn und wie scheußlich er sei. Für uns ist er aktuell ein Ort der Kunst und Kultur, in MUC eher der Qual und Pein.
Für manche ist das sicherlich auch heute schon so!
Das stimmt natürlich auch.
Wie in den meisten Dystopien beschäftigen Sie sich in MUC aber auch mit wichtigeren Fragen, beispielsweise, welche Regierungsform die beste ist. Im Kern stellen Sie eine religiöse Diktatur einer grundsätzlich demokratischen Struktur gegenüber. Warum genau die beiden?
Ich wollte damit einen deutlichen Gegensatz thematisieren, normalerweise schreiben andere Autoren ja eher über eine materielle Diktatur oder eine militärische. In dieser Welt ist die Menschheit fast ausgestorben, nur zwei Prozent sind übrig. Wenn der Mensch versucht, sich diese Ereignisse zu erklären, dann landet er ganz schnell bei Gott. Das fand ich einfach eine sehr logische Entwicklung. Gleichzeitig ist es auch eine Kritik am blinden Gehorsam in Religionen, weil sie so totalitär sind. Die Vorstellung vom einzig wahren Gott beim Monotheismus grenzt andere Vorstellungen ganz aktiv aus. Das macht auch die Gesellschaft in MUC: Sie lehnen alle ab, die anders sind und unterschiedlich denken.
In MUC haben ja gerade die Rothaarigen überlebt – die in unserer Gegenwart eigentlich die andersartigen sind.
Sicher, sie wurden über Jahrhunderte verfolgt, als Hexen verbrannt und hatten kein leichtes Leben. In MUC sind sie jetzt an der Macht – und machen es genau so, wie die Gesellschaft heute. Obwohl es eigentlich pures Glück ist, dass sie überlebt haben, denn es ist ein Virus, der die Menschheit auslöscht. Dann ist mir eingefallen, dass etwa zwei Prozent der Bevölkerung bei uns rote Haare haben. Das wiederrum liegt an einem genetischen Unterschied: Vererbt wird eine echte Mutation am Chromosom 16. Das macht das grundlegende Szenario realistisch und ist wissenschaftlich nachvollziehbar.
Wie ist die Geschichte von MUC dann final in Ihren Gedanken entstanden?
Die Inspiration kommt ganz unterschiedlich. Manchmal geht das über Dinge, die ich selbst erlebe. Dokus, die ich sehe oder Videospiele. Manchmal träume ich eine wilde Geschichte – der Großteil ist Schrott, aber manchmal funktioniert es eigentlich ganz gut. Meine Spaziergänge mit meinen Hunden sind auch eine absolute Inspirationsquelle.
MUC ist Ihr Debütroman. Geschrieben hatten Sie ihn schnell, nämlich in sechs Monaten. Veröffentlicht wurde er erst zwei Jahre später. Hat Sie das überrascht?
Nein, eigentlich nicht. Ich kenne das von der Filmbranche, also dass eine Idee in die Realität umgesetzt wird. Es steckt eine gewaltige Menge Arbeit von vielen Leuten im Verlag dahinter. Die Agenten, die Lektoren, das Marketing, die Grafiker für das Cover, vielleicht eine zweite, externe Lektorin. Die arbeiten versteckt im Hintergrund, aber ohne sie wäre gar nichts möglich. Deswegen halte ich gar nichts davon, wenn die Leute sagen: ‚Jeder kann doch ein Buch schreiben!‘ oder ,Jeder kann veröffentlichen.‘ In meinen Augen ist das sinnlos, denn in jedem Bereich gibt es Profis – und das aus gutem Grund. Ich könnte beispielsweise niemals ein gutes Cover entwerfen. Durch deren Arbeit hat MUC auch eine ganz andere Qualität bekommen.
Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die glauben, man sollte einmal im Leben ein Buch geschrieben haben?
Generell kann ich nur sagen: Hinsetzen und schreiben. Viele sagen, sie möchten, aber scheitern am inneren Schweinehund. Es schluckt Zeit, es ist harte Arbeit. Wer eine Geschichte erzählen will, muss wirklich durchhalten. Bei mir hat es von meinem Traum bis zur Realisierung ganze 20 Jahre gedauert. Ich empfehle, dass man das Schreibhandwerk erlernt. Es gibt viele gute Seminare, persönlich finde ich Robert McKee empfehlenswert.
Hilft Ihnen das beim Durchhalten?
Nein, nicht beim Durchhalten, aber die Techniken sind sehr wichtig. Freiberufler kennen das: Man muss seinen eigenen Rhythmus haben. Ich setze mich jeden Tag eine gewisse Zahl an Stunden an den Schreibtisch und arbeite, da lasse ich mich nicht ablenken. Das muss so sein. Bei McKee geht es um die Umsetzung: Wer noch nie von Schreibtechniken gehört hat, sollte ihn sich zu Gemüte führen. Geschichten erzählen erfolgt seit jeher nach bestimmten Regeln.
Hätten Sie einen Tipp für junge Menschen, die etwas Kreatives machen wollen?
Das kreative Business bietet wunderschöne Berufe, aber sie sind wahnsinnig hart. Man muss sich bewusst sein, dass man ein Leben führt, bei dem man heute nicht weiß, wo man morgen sein wird. Man wird nie ein normales Leben führen können. Dieser Berufsweg ist nur für die geeignet, die wissen, dass sie die Kunst brauchen, um zu leben. Das ist die wichtigste Motivation für diese Branche, sonst packen sie die Härte nicht. Ich wäre ohne Kreativität vollkommen unglücklich.
… das Härteste bisher?
Die Videospielbranche. Die ist wirklich nur für junge Menschen gedacht, die ohne Partnerschaft und workaholics sind. Man ist nur am Arbeiten, Crunchtime nennt man das. In dieser Branche bleibt für nichts anderes im Leben Zeit.
Nach ihrem Abitur absolvierte Anna Mocikat erst einmal Praktika bei Fernsehsendern, um sich in Richtung Journalismus zu entwickeln. Parallel studierte sie Komparatistik und Amerikanistik mit dem Ziel, in den Fernsehjournalismus einzusteigen. Gelernt hat sie hier zwar viel, aber das Nacherzählen von Fakten macht ihr einfach weniger Spaß als das Erfinden eigener Geschichten.
Deswegen brach sie glatt ihr Studium ab – und ist heute trotzdem oder gerade deswegen als Autorin erfolgreich. Geholfen haben dabei die Drehbuchwerkstatt der HFF München und die tollen Schreibtipps vom Robert McKee.
Weitere Informationen zur Autorin, MUC und seinen Fortsetzungen gibt es auf Mehr zu den Büchern der Autorin bei Droemer. sowie www.droemer-knaur.de/buch/7938163/muc.
Das Interview führte Bettina Riedel.