Beim Freizeit- und Wettkampfreiten sollten Mensch und Pferd im Idealfall eine Einheit darstellen. Für diese Aufgabe ist ein Pferde-Ergonom und Sattel-Ergonom zuständig. Was dieses Berufsfeld ausmacht und welche Herausforderungen es dabei zu meistern gilt, erklärt der Sattlermeister Jochen Schleese, Gründer der Schleese GmbH sowie der Saddlefit 4 Life Akademie.
Herr Schleese, der Beruf des Sattlers existiert schon seit Jahrhunderten und ist inzwischen nicht mehr nur auf die Arbeit mit Pferden beschränkt. Worin unterscheiden sich nun ein Pferde-Ergonom und Sattel-Ergonom von einem herkömmlichen Sattler?
Im Gegensatz zum klassischen Sattler liegt der Fokus von Pferde-Ergonomen und Sattel-Ergonomen nicht auf der eigenen Lederwarenherstellung, sondern auf der individuellen Sattelanpassung. Hierdurch ermöglichen sie Ross und Reiter eine maximale Bewegungsfreiheit und schützen sie vor gesundheitlichen Langzeitschäden. Als zweistufige Ausbildung angelegt, lernen angehende Pferde-Ergonomen zuerst, wie sie den natürlichen Bewegungsablauf der Pferde sowie die Anatomie von Tier und Mensch analysieren und beurteilen. Ist diese Qualifikation erfolgreich erworben, können sich Pferde- zu Sattel-Ergonomen fortbilden lassen. Unter der Anleitung erfahrener Mentoren setzen sie während dieser Ausbildungsstufe ihr gesammeltes Wissen in der praktischen Sattelanpassung um. Ausgelernt nehmen Pferde-Ergonomen eine beratende Position im Reitstall ein, während Sattel-Ergonomen für die individuelle Sattelanpassung verantwortlich sind.
Für die von Schleese zertifizierten Ergonomen beginnt der Arbeitstag stets mit dem Vermessen von Mensch und Tier. Auf Grundlage der 80-Punkte-Evaluierung nach der „Saddlefit 4 Life“-Methode und unter der Berücksichtigung von Anatomie, Physiognomie und Ergonomie ermitteln sie die Anpassungsmöglichkeiten. Je nach Beschaffenheit des Sattels entscheiden die Experten, ob ein neues Modell benötigt beziehungsweise wie das vorhandene angepasst wird.
Mit welchen Vorurteilen hat das Berufsbild zu kämpfen?
Fälschlicherweise sehen Kunden Sattel-Ergonomen des Öfteren als Verkäufer an. Dabei liegt das Hauptaugenmerk einer solchen Tätigkeit auf der Sattelanpassung, die stets nach den persönlichen Bedürfnissen von Mensch und Tier erfolgt. Nicht jeder bereits eingesessene Sattel muss umgehend durch ein neues Modell ersetzt werden. Da Reiter die Experten für die individuelle Sattelanpassung in der Regel erst dann kontaktieren, wenn bisherige Anproben und Neukäufe keine Besserung mit sich gebracht haben, müssen die Ergonomen das Vertrauen von Mensch und Tier von Neuem aufbauen. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit begleiten die Experten ihre Kunden daher ein Pferdeleben lang.
Warum ist diese Tätigkeit so wichtig?
Im Pferdesport stehen der Tierschutz und die Gesundheit an oberster Stelle – und genau diesem Ideal eifert das Berufsfeld nach. Die Schleese Pferde- und Sattel-Ergonomen handeln stets aus Liebe und Verantwortung gegenüber Tier und Mensch.
Der Beruf des Pferde-Ergonomen und Sattel-Ergonomen erfreut sich heute zunehmender Beliebtheit. Worauf fußt diese Entwicklung?
Bei vielen Pferdeliebhabern wächst mittlerweile das Bewusstsein für die gesundheitlichen Bedürfnisse von den Tieren und sich selbst. Wer viel Zeit im Sattel verbringt, möchte schließlich optimalen Komfort erleben. Zudem wissen potenzielle Bewerber über die Vorteile der beiden Berufsbilder Bescheid. Sie arbeiten täglich mit Mensch und Tier zusammen und machen so ihr Hobby zum Beruf. Dabei bieten die beiden Berufsbilder eine gute Alternative zu den üblichen Beschäftigungen im Stall, die oft mit einer hohen körperlichen Belastung einhergehen und Interessenten abschrecken. Bedingt durch neue Trends in der Pferdezucht ist der Bedarf an Sattelexperten zudem sehr hoch. Wurde früher besonders Wert auf einen rechteckigen Körperbau gelegt, bevorzugen Reiter aktuell Tiere, die eine eher quadratische Statur mit großen Schultern besitzen. Durch solche Trends ändern sich nicht nur die Physiognomie der Tiere, sondern auch die Anforderungen an einen Sattel. Gleiches geschieht, wenn Pferde längere Zeit im Stall verbringen oder viel trainieren, denn so verändert sich die Muskulatur und der Sattel passt nicht mehr. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, empfiehlt sich ein jährlicher Sattelcheck.
Ist die Ausbildung eher eine Zusatzqualifikation oder eignen sich auch Quereinsteiger für das Berufsfeld?
Die zweistufige Ausbildung zum Pferde-Ergonom und Sattel-Ergonom eignet sich hervorragend für Quereinsteiger. Wer eine Passion für den Reitsport mitbringt, Prozesse kritisch hinterfragt und handwerkliches Geschick zeigt, bringt gute Voraussetzungen für die Tätigkeit als Schleese Pferde-Ergonom und Sattel-Ergonom mit. So habe ich im Laufe meiner Tätigkeit neben Tierärzten, Berufs- und Freizeitreitern und Sattlern auch Menschen ausgebildet, die zuvor in völlig anderen Branchen tätig waren. Kandidaten, die schon Erfahrungen im Umgang mit Pferden gesammelt haben, sind natürlich im Vorteil.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung an der Arbeit?
Um eine einheitliche Bewegung von Tier und Mensch zu ermöglichen, müssen Pferde-Ergonomen und Sattel-Ergonomen den idealen Balancepunkt beider Individuen bestimmen. Dies gelingt nur, wenn sich die horizontale Wirbelsäule des Pferdes im Einklang zur vertikalen Wirbelsäule des Reiters bewegt. Das erfordert ein geschultes Auge und Konzentration.
Jochen Schleese, Sattlermeister und Gründer der Schleese GmbH sowie der Saddlefit 4 Life Akademie
Kurzprofil Schleese GmbH
Unter der Leitung von Geschäftsführerin Angelika Schleese stellt die Schleese GmbH mit Sitz in Köln Pferdesättel nach den höchsten Qualitätsstandards von Hand her. Den Grundstein für das Unternehmen legte ihr Bruder Jochen Schleese vor mehr als 40 Jahren. Mittlerweile leitet dieser die Geschäfte in Kanada und in den USA. An der Saddlefit 4 Life® Akademie in Köln absolvieren Anwärter die entsprechende Ausbildung und erhalten damit die Qualifikation, einen Sattel optimal an die Bedürfnisse von Pferd und Reiter anpassen zu können.
Alle Bilder: © Schleese GmbH