Das Angebot an Studiengängen, Ausbildungen und möglichen Karrierewegen wird immer größer. Für viele junge Leute bedeutet dies die Qual der Wahl. Um einen genauen Entschluss zu fassen, kann eine Potentialanalyse hilfreich sein. Wie so etwas genau aussieht und wie zuverlässig das ist, berichtet Prof. Dr. Stefanie Jaursch von der psychologischen Studienberatung und Potentialanalyse Jakob&Jaursch.
Frau Jaursch, es gibt verschiedene Formen der wissenschaftlich fundierten Potentialanalyse. Für welche Richtung haben Sie sich entschieden?
In unserer psychologischen Studienberatung erarbeiten wir gemeinsam anhand von wissenschaftlich fundierten Testverfahren und einem Gespräch die individuellen Stärken, Schwächen, Vorlieben, Interessen und Persönlichkeitseigenschaften als stabile Grundlage für eine klare berufliche Entscheidung. Wir sind Diplom-Psychologinnen mit langjähriger universitärer, schulpsychologischer sowie diagnostischer Erfahrung und arbeiten objektiv, ergebnisoffen und unabhängig. Unsere Perspektive ist also die der Psychologie, nicht die der Karriereplaner und Coaches. Wir messen zum einen objektiv die Fähigkeiten und Interessen und ermöglichen zum anderen, in einem persönlichen Gespräch individuelle Entscheidungen in Ausbildungs- und Berufsfragen daraus zu entwickeln.
Ist nicht ein Problem, dass es neben dem Potential auch immer die Frage gibt, inwieweit man dieses ausschöpft?
Wir sehen hier kein Problem, sondern die Chance, anhand der Kenntnis der eigenen Kompetenzen das zu einem passende zu finden. Uns geht es also nicht darum, die Trefferquote in der Personalauswahl und Personalentwicklung und damit die Unternehmen in ihrer Effizienz zu steigern, sondern vielmehr darum, die jungen Menschen darin zu bestärken, das für sie richtige zu finden. Sollte dabei zunächst nicht ihr ganzes Potential ausgeschöpft werden, entsteht ja für den jungen Menschen kein Problem. Er hat vielmehr noch die Chance, sich weiterzuentwickeln. Sollte er sich aber für etwas entscheiden, das ihm überhaupt nicht liegt, worin er mehr oder weniger zwangsläufig scheitern wird, kann das auf psychologischer Ebene tatsächlich viele Probleme mit sich bringen. Genau das wollen wir verhindern.
Erfolg und Spaß im Beruf
Welches sind die Grundfragestellungen, deretwegen junge Menschen Ihren Rat suchen?
Die Grundfrage lautet „Was soll ich werden? Was soll ich studieren?“. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, im Grunde keinerlei Grenzen mehr. Früher war man sehr viel festgelegter, man machte eher, was die Eltern schon gemacht haben, man kannte sich weniger aus – heute kann sich jeder überall auf der Welt informieren. Das heißt, den jungen Menschen steht tatsächlich die ganze Welt offen. Das kann einen allerdings auch überfordern. Vor allem der gut gemeinte Rat der Eltern „Hauptsache, Du wirst glücklich“ ist eine ganz schöne Verpflichtung …
Die Empfehlung vieler Karriereberater lautet „Mach, was dir Spaß macht!”. Nur ist das, was einem Spaß macht, nicht unbedingt das, was den eigenen Talenten am meisten entgegenkommt. Was ist wichtiger im Beruf: Erfolg oder Spaß?
Es bedingt sich natürlich gegenseitig. Erfolg macht Spaß! Und wer Spaß hat, wird auch erfolgreich sein. Beziehungsweise andersherum: Wer seinen Beruf hasst, wird darin selten erfolgreich sein. Wenn der Fokus eines jungen Menschen nicht auf Karriere und finanziellem Gewinn liegt, dann werden die noch so lukrativen Berufe ihn nicht erfüllen. Sollten seine Prioritäten aber genau hier liegen, kann er ein vielleicht nicht so spannendes Studium als Mittel zum Zweck betrachten und besser durchhalten. Demnach ist es wichtig, nicht nur die Interessen und Fähigkeiten herauszufinden, sondern auch die Einstellungen, Wünsche, Motive. Und um all diese Facetten miteinander zu verbinden, ist ein persönliches Gespräch so wertvoll. Das lässt sich nicht in Verfahren am Computer abbilden.
Verlockung vs. solide Wissenschaft
Wie sehr werden Berufsbilder von der Welt der digitalen Medien verschoben, in denen es oft leicht erscheint, sehr schnell als Influencer oder TikTok-Star sein Geld mit der Begutachtung von Fashion- und anderen Konsumgütern zu verdienen?
Ich würde zunächst mal den Kompetenzaufbau natürlich nicht als mühsam betrachten wollen, sondern als spannenden Erkenntnisgewinn! Die Verlockungen des schnellen Geldes gab es doch auch früher schon, denen gegenüber einer soliden Berufsausbildung steht („Lern erstmal etwas Vernünftiges“). Hier sind wieder Persönlichkeitsunterschiede sichtbar, ein eher gehemmter oder auch leistungsorientierter Mensch würde ein solches Risiko vielleicht nicht eingehen, ein eher extravertierter, offener Mensch hingegen schon. Im vergangenen Jahr hat sich unsere Welt noch schneller als sonst verändert, sodass sich auch manche beruflichen Optionen verschoben haben. In den Monaten der Pandemie wurde von vielen der Wert von krisenfesten Berufen erkannt, sodass ich hier eher einen Trend hin zu beispielsweise medizinischen Berufen erwarten würde.
Zum Abschluss: Wie valide ist das Ergebnis Ihrer Studienberatung und Ihrer Potentialanalyse?
Das ist eine mir persönlich sehr wichtige Frage! Eine Evaluation wie unsere, die höchsten wissenschaftlichen Kriterien standhält, ist sehr aufwändig und dauert naturgemäß sehr lang. Hierzu braucht es erstmal eine ausreichend große Gruppe an Teilnehmer:innen, die die Studienberatung und Potentialanalyse gemacht hat, und eine entsprechend gleich große Gruppe, die Kontrollgruppe, die keinerlei Beratung in Anspruch genommen hat. Um dann zu sehen, wer sein Studium nicht abbricht beziehungsweise wer langfristig zufrieden in seinem Beruf ist, vergehen viele Jahre. Kurzum: Wir sind dran und können zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall sehr hohe Zufriedenheitswerte berichten.
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Schriftliches Interview von Lisa-Sophia Albrecht.