Viele Abiturienten fangen an zu studieren, weil sie sich davon ein höheres Ansehen und mehr Gehalt versprechen. Das Handwerk gilt den Meisten als körperlich zu anstrengend und hat mit einem negativen Image zu kämpfen. Aber schon heute sind Handwerker in einigen Bereichen, etwa der Baubranche, so gesucht, dass sie deutlich mehr verdienen können als manche Hochschulabsolventen, etwa aus den Geisteswissenschaften. Dazu kommen die Entwicklungen aus der Robotik und Künstlichen Intelligenz, die manche Berufe überflüssig machen. Wie steht es in diesem Zusammenhang um das Handwerk? Überraschend gut.
Zu den Berufen, in denen man heute am besten verdient, gehört der des Radiologen: Ärzte, die Röntgenbilder machen und interpretieren können. Noch vor Augenärzten und Chirurgen ist der Radiologe der Facharzt mit dem höchsten Einkommen. Geoffrey Hinton, weltweit anerkannter Forscher für Künstliche Intelligenz meint: „Wir sollten sofort damit aufhören, Radiologen auszubilden. Denn Maschinen können Röntgenbilder viel besser analysieren“. Ob der Brite damit Recht hat oder nicht, wird sich zeigen. Eins aber ist sicher: Berufe werden sich in den kommenden Jahren stark wandeln.
Wenn man auf dem Arbeitsmarkt von einem Schweinezyklus* spricht, ist damit folgendes gemeint: Es wird ein Mangel in einem bestimmten Bereich kommuniziert und mit hohen Gehältern gelockt. Viele stürzen sich dann in ein Studium oder eine Ausbildung, welche die Ausübung eines solchen Berufes ermöglicht. Auf einmal werden viele gleichzeitig mit ihrer Ausbildung fertig und konkurrieren um zu wenige Arbeitsplätze. Das schreckt dann wieder die nächste Generation davon ab, den jeweiligen Beruf zu erlernen. Im Ergebnis führt dies immer wieder dazu, dass es entweder zu wenige Absolventen einer Ausbildung gibt – oder zu viele. Ein Beispiel dafür ist der Schweinezyklus bei Lehrerberufen. Mal warten zu viele auf eine freie Stelle, nur ein paar Jahre später gibt es zu wenige Lehrkräfte.
Wie aber sieht die Berufswahl aus, wenn man den Horizont sehr langfristig wählt? Wer sich heute beim Arbeitsamt oder anderen erfahrenen Stellen beraten lässt, welche Berufe absolut zukunftssicher sind, wird folgende Antwort bekommen: IT-Experten sind so gesucht wie nie, also ist ein Informatikstudium immer eine gute Wahl. Oder: Wer eine Lehre machen möchte, sollte sich anschauen, wie viele Stellen in München für Kranken- und Altenpfleger nicht besetzt werden können.
Das ist aus heutiger Sicht bestimmt richtig. Aber wie sieht unsere Welt in zehn oder zwanzig Jahren aus? Google hat im Januar eine Nachricht veröffentlicht, nach der es seinen Forschern gelungen ist, eine Software zu entwickeln, die selbst neue, bessere Software entwickeln kann. Die sogenannte Künstliche Intelligenz macht das möglich. Werden Programmierer dadurch arbeitslos? Sicher nicht. Aber das Beispiel zeigt, wie schnell sich alles ändern kann.
Können irgendwann einmal auch Kranken- oder Altenpfleger ersetzt werden? In Japan, wo man wegen der starken Überalterung der Gesellschaft damit rechnet, dass 2025 über eine Millionen Pflegekräfte fehlen, wird der Krankenhausroboter „Terapio“ entwickelt. Solche Assistenzroboter werden den menschlichen Zuspruch von Pflegekräften nicht ersetzen, ihnen aber bei vielen Routinetätigkeiten helfen.
2030 werden in München fast 180.000 Facharbeiter fehlen
Als der führende Forscher für Künstliche Intelligenz (KI) in Deutschland, Professor Wahlster vom DFKI Saarbrücken, auf den Münchner Medientagen über die Fähigkeiten von Robotern in Verbindung mit der KI sprach, berichtete er, dass man bei der Verabeitung hochkomplexer Aufgaben aus der Medizin oder Rechtswissenschaft permanent Fortschritte mache. Bei einer an sich simplen Tätigkeit wie dem Wechseln der SIM-Karte eines beliebigen Handys wären Roboter allerdings schon wieder vollkommen überfordert.
Manuelle Fertigkeiten werden also gebraucht. Bevor Roboter in der Lage sind, einen Dachdecker zu ersetzen, werden noch Jahrzehnte vergehen. Auch wenn, wie die Unternehmensberater von McKinsey schätzen, in den nächsten vier Jahrzehnten die Mehrheit der Jobs mittels automatisierter Arbeitsabläufe bewältigt wird, sorgt die Automation nicht dafür, dass Mitarbeiter überflüssig werden. Aber es wird Berufe geben, die komplett durch Maschinen ersetzt werden.
„Wir sehen auch im Zeitverlauf keine Entwertung von höheren Bildungsabschlüssen“, betont Joachim Möller vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend zur Höherqualifizierung am Arbeitsmarkt sei bisher ungebrochen und Entwicklungen wie die Digitalisierung würden das eher verstärken. „So wichtig natürlich auch der Nachwuchs in den dualen Ausbildungsberufen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist: Es gibt keinen Grund, generell vor der Aufnahme eines Studiums zu warnen.“
Während Akademiker über ihr Erwerbsleben hinweg durchschnittlich fast 2,4 Millionen Euro brutto verdienen, erreichen Absolventen einer beruflichen Ausbildung im Mittel etwa 1,5 Millionen Euro. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung erzielen Beschäftigte im Durchschnitt ein Lebensentgelt von 1,2 Millionen Euro. Das Problem bei solchen Studien ist immer, dass sie nur Rückblicke liefern. Auch die eingangs erwähnten Radiologen gehören zu denjenigen, die zu dem höheren Durchschnittsverdienst der Akademiker beigetragen haben. Aber was wäre, wenn Maschinen sie überflüssig machen?
Natürlich sind auch Handwerksberufe von der Digitalisierung betroffen. KFZ-Mechatroniker werden weniger zu tun haben, wenn die Autos nur noch elektrisch fahren. Es gäbe dann weder die aufwendigen Verbrennungsmotoren, noch Getriebe, Kühler oder Auspuffanlagen, die repariert oder ausgetauscht werden müssen. Fahrzeuge der Elektromarke Tesla werden schon heute über Software-Updates verbessert, anstatt sie in die Werkstatt zu fahren.
Nach neuesten Studien werden im Jahre 2030 fast 180.000 Facharbeiter- Stellen in München nicht besetzt werden können, ein Großteil davon im Baugewerbe. In diesem Bereich sind in den letzten Jahren in Folge des Baubooms viele Unternehmer sehr vermögend geworden. Es gibt also auch im Handwerk die Perspektive, mit ausreichender Berufserfahrung zum Gründer zu werden und sein eigenes Unternehmen aufzuziehen – es muss nicht immer das Internet-Start-up sein.
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